29 Mai, 2008

rüttelflug


langsam erhob er sich, der nackte vogel. mit wachsendem stolz bemerkte er das wachstum einzelner federn an seinem hals. die flügelenden waren auch schon befedert, in strahlendem gold und rot. er schlug mit den schwachen, abgemagerten flügeln und merkte, wie ihn die luft, die durch sein spärliches gefieder strich, an einen flug vor uralter zeit erinnerte. seine runden, glänzenden augen lächelten. ein flug. er setzte sich wieder in sein nest zurück, zufrieden und bemerkte den durchbruch einer neuen feder, diese leuchtend orange, an seinem fuß.
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25 Mai, 2008

atopie und andere leidenschaften


die kleine bildung zum sonntag:

Der medizinische Begriff Atopie (griechisch ατοπία, atopía - „Ortlosigkeit“, „nicht zuzuordnen“) beschreibt eine Neigung dazu, mit Überempfindlichkeitsreaktionen, nämlich mit allergischen Reaktionen vom Soforttyp (Typ I Allergie), auf den Kontakt mit ansonsten harmlosen Substanzen aus der Umwelt zu reagieren.

Die Atopie (griechisch ατοπία atopía „Ortlosigkeit“, „nicht zuzuordnen“, „von hoher Originalität“) bezeichnet die „Unbeschreiblichkeit“ des überaus selten zu Erlebenden, des Herausgehobenen, des Originals im besten Sinne.
Es handelt sich um eine − an sich oder anderen − beobachtbare (Erlebnis-)Qualität, nicht um ein Ideal.
Genau besehen ist die Atopie ein Alltagsphänomen aller „Normalsterblichen“. Eltern können die Beziehung zu ihren Kindern zwar beschreiben, schönreden oder verfluchen, indes die Tiefe ihrer Gefühle zu den eigenen Sprösslingen als atopisch, also unbeschreiblich erkennen.
Die Naturreligion spricht daher von „Tao“, dem „Ursprünglichen“ und „Ungeschiedenen“, ähnlich die Mystik, die ontologische Philosophie und Theologie spricht von „Seinsfülle“. Die eher sinnliche, weltzugewandte Dichtung nennt es „das Füllhorn“ oder prosaischer „die Inspiration“. Die psychologische Wissenschaft erforscht es unter dem Leitbegriff Kreativität oder spezieller als „das Fließen“ (Flow-Erlebnis).
mir wurde am freitag medizinisch bestätig, dass ich atopikerin bin - neurodermitis ist ein symptom dafür. wenn ich ehrlich bin, freut es mich, unter überempfindlichkeit zu leiden. besser als an ignoranz. auch meine physische und spirituelle verortung im nirgendwo entzückt mich - hat gleichzeitig was von literaturtheorie und innerstem selbst. wenn ich jetze noch jemanden finde, der diesen sonntag mit eis und mir teilen will, ist alles gut.
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24 Mai, 2008

SPIELTRIEB oder rinasce piu gloriosa


es war einmal eine junge dame mit zuviel flausen im hirn.

diese arbeitete vollzeit bei einem nicht weiter genannten fernsehsender. in diesen alten tagen hieß 'vollzeit' allerdings 'nicht voll ausgelastet'. und so schrieb die dame ein konzept zu einem theaterstück, was sie nebenbei mit einer jugendtheatergruppe erarbeiten wollte. soweit, so gut. das konzept wurde angenommen, die junge dame freute sich. dann beschloss ihre firma, sie wirklich vollzeit arbeiten zu lassen und beschenkte sie mit einer verdoppelung der sendezeit ihres fernsehformats. auf einmal musste die junge dame doppelt so viel arbeiten wie vorher. nichtsdestotrotz war sie guter dinge: all diese chancen!

irgendwann, es muss im april gewesen sein, fühlte sich unsere junge mamsell ein wenig krank. vielleicht arbeitete sie doch zuviel? acht bis neun stunden am tag fernsehen, zweimal proben im theater á drei bis vier stunden in der woche. dann kamen die wochenendsproben dazu. die textarbeit, probenvorbereitung, dramaturgischen besprechungen und weitere organisation schienen ihr nach und nach alle freie zeit zu nehmen. das junge ding wurde krank. sie fing an, herpes zu haben. sie bekam einen keuchhusten, der sich sechs wochen hielt. zum ersten mal seit fünf jahren bekam sie hautausschlag. doch immer noch versuchte sie, weiterzumachen: man bedenke doch all diese chancen!

seltsamerweise schien sich ihr immuneinbruch auf ihre theatergruppe zu übertragen. unstimmigkeiten und machtkämpfe waren an der tagesordnung. durch einen dispositionsfehler wurde eine ihrer schauspielerinnen abgeworben, um auf der großen bühne des lebens zu spielen. eine anderes gruppenmitglied war durch die einnahme von harten medikamenten geschwächt, die gegen seinen hautausschlag helfen sollten. wieder eine andere mitspielerin kippte aus überarbeitung zu hause einfach um: gehirnerschütterung. als dann eine dritte schauspielerin sich ein band am fuß anriss und eine vierte von einem auto angefahren wurde, war der fluch komplett. eine gespaltene gruppe von invaliden, geführt von einer regisseurin, die sich die lunge aus dem leib keuchte. und immer noch und immer doch wieder die einsicht: EIGENTLICH war alles gut. eigentlich war die chance immer noch eine großartige.

und so wurde aus damals heute und aus einer idee eine greifbare, wunderbare, absolut geschüttelte berliner theaterproduktion. ein phoenix der sonderklasse. wenn dieser aus der asche steigt - und das wird er bald, weil: wieviel schlimmer kann es jetzt noch werden? - dann in größtem triumph.

mit dem göttlichen klang einer unwirklichen sphärenmusik, kreiert von zwei begnadeten freidenkern und musikern. begleitet im flug von einer tanzchoreographin, die den swing in funkelnden augen trägt. gestreichelt und besungen von einer dramaturgin, deren ausgleichende seele der jungen regisseurin schon häufig den tag gerettet hat. in der organisation des flugplans betreut von einem effizienzgenie, das auch mädchendinner veranstaltet. auf den weg geschickt von sechs schauspielern, die in ihren guten momenten atemberaubend sind. mit feuergirlanden aus worten geschmückt von einem menschen, der da war, als die junge dame nicht mehr weiter wusste. und auf dem feuervogel, dem mythischen wesen, da sitzt dann unsere junge dame, zusammen mit ihrer assistentin. und fliegt.
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