18 Oktober, 2013

GR-20 - Teil 2 - von Fastgestorben nach Ortu di u Piobbu

Und dann stehen wir in Calenzana vor der schönen Kirche. Es ist 10 Uhr morgens, klar und kühl. Das Trampen von Calvi hat super geklappt und believe it or not, es geht los. Wir laufen durch die Straßen von Calenzana, Gustav schnell, ich langsam und folgen den rotweißen Markierungen bis zum Ortsausgang.

Venceremos!
Der Weg ist schön und steil, wir verlassen die Zivilisation, durchqueren Wälder und essen Mittag auf der Bocca a u Saltu in 1.250 Metern Höhe.

Tag der ersten Male - unsere erste Kette

Bocca a u Saltu, 1.250 Meter
Mittag im Nebel
Das Wetter wechselt, es wird neblig-nass. Die Sichtweite ist beeinträchtigt, am Capu Giovu sehen wir nicht viel von der spektakulären Aussicht.

Follow the leader... Äh, nee, the rot-weiße Markierung
Um 15 Uhr fängt es an, zu regnen. Dann setzt der Donner ein und Gustav und ich sind auf einmal in genau so einem Gewitter, vor dem überall gewarnt wurde. Der Regen wird stärker, es wird kalt, Blitze erhellen den grauen Himmel. Wir nähern uns dem Zentrum des Unwetters, das zwischen zwei Berggipfeln hängt und nicht abzieht. Als wir völlig durchnässt zugeben müssen, dass wir nicht weiter können, suchen wir uns einen Unterschlupf am Bergrand. Ich baue mir einen Kokon aus meiner Isomatte, die den Großteil des Regens abhält. Wir warten.

Ich habe keine Angst. Gustav ist ja bei mir. Als die Blitze allerdings anfangen, im Tal unter unserem Unterschlupf einzuschlagen, denke ich, dass ich lieber nicht heute sterben würde. Danke.

Im Gewitter gefangen - die Isomatte als Lebensretter
Wir warten 90 Minuten, zählen die Entfernung zwischen den Blitzen und dem Donner, denken und reden wenig. Bei Gustav setzt die Unterkühlung zuerst ein, er zittert. Ich bewundere in diesem Sturzbach unter den Bäumen erneut meine Wanderstiefel, die erstaunlicherweise meine Füße immer noch trocken und warm halten.

Als auch ich ausgekühlt bin und wir beide der Meinung sind, dass es sicher genug ist, weiter zu laufen, stehen wir auf. Unsere Beine sind steif und eiskalt. Wir schütteln Wasser, Erde und Tannennadeln ab, packen unsere Rucksäcke im Regen. Ich ziehe mir einen Regenponcho aus Plastikfolie an, mein heimlicher Liebling auf Wanderungen. Sieht doof aus, hält aber trockener als die meiste Funktionskleidung. Und jetzt hält er auch die Körperwärme drin. Wir laufen los. Nach zwanzig Minuten müssen wir noch einmal unseren Mut beweisen, und bei Blitzschlag über die Kuppe der Bocca a u Bassiguellu rennen.

Auf den restlichen Kilometern bis zum Refuge werden wir eins mit dem Regen. Es gibt keinen Unterschied mehr zwischen oben und unten, innen und außen, man ist einfach überall so nass, als schwämme man. Und so schwimmen Gustav und ich noch leichte Abstiege hinunter, über Steine und durch einen Wald, der auf, unter und neben uns tropft. Als wir plötzlich oberhalb der Hütte ankommen, schreien wir vor Glück.

Oh, Ortu di u Piobbu, du sicherer Hafen im Sturm! 
Wir stolpern in die Hütte, ziehen uns sofort aus und um und machen uns eine heiße Suppe und Tee. Außer uns sind noch acht weitere Menschen da, die meisten Pärchen. Wie man sich freuen kann, wenn jemand vor einem schon den Ofen angeheizt hat! Gustav und ich hängen unsere völlig durchnässten Klamotten auf, als auf einmal die schon erwähnte Französin hereinstolpert, die kurz vor einem Nervenzusammenbruch ist. Vermutlich hatte sie im Gewitter keinen Bruder dabei, der ihr ein ruhiges Herz gegeben hat. Nachdem sie von den anderen versorgt wurde und im Schlafsack vor dem Ofen sitzt, wird es langsam Zeit, schlafen zu gehen. 

Überlebt. Darauf ein leckeres YumYum-Süppchen mit Stinkekäse
 

Fazit Tag 2:

1) Die Natur ist stärker als du.
2) Demut ist dein Freund. Lieber spät dran als tot.
3) Ich kann noch weiter, auch wenn ich kein Gefühl mehr für meinen Körper habe und fast schon halluziniere, dass ich durch den Regen schwimme.
4) Man sollte immer einen Bruder in Notfallsituationen dabei haben.

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